Mehr als 150 Interessierte sind der Einladung des Vereins Qualität im Journalismus (QuaJou) nach Winterthur gefolgt. Am JournalismusTag.23 war künstliche Intelligenz ebenso Thema wie der Krieg in Nahost oder #MediaToo. Auf den Bühnen standen einige prominente Namen.
Wie bleiben wir unabhängig in Zeiten von künstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung? Ein Playbook für Journalist:innen lieferte Keynote-Speakerin Uli Köppen am JournalismusTag.23 vom 23. November 2023. Sie leitet das AI + Automation Lab im Bayerischen Rundfunk. Köppen zeigte Beispiele, wie Journalist:innen KI-Technologie und Automatisierung für ihre Ziele nutzen können. Auf dem Weg dorthin sollen Redaktionen zuerst eigene Workflows überprüfen und verbessern, statt auf «technologischen Solutionismus» zu setzen. «Stellen Sie Fragen und liefern Sie nicht schon Antworten», so Köppens Rat. Auch sei es wichtig, dass sich Journalistinnen und Journalisten für die Technologien hinter den eigenen Produkten interessieren.
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Die KI ist janusköpfig. Das zeigt sich besonders deutlich in ihrer Fähigkeit, innert sekundenschnelle visuelle Sujet zu erzeugen: Einerseits eröffnen sich hier ganz neue Chancen, andererseits entstehen ungeahnte Gefahren, gerade in Zeiten von Deepfake. Illustrator und Cartoonist Ruedi Widmer sowie Satiriker Karpi haben schon munter mit den neuen Methoden experimentiert, während Bildredaktorinnen wie Lea Truffer von der NZZ am Sonntag sich im Redaktionsalltag mit neuen Fragen konfrontiert sehen. «Als Macher bin ich von KI restlos begeistert», sagte Karpi. «Bei KI werde ich spirituell: Sie ermöglicht ‹guided hallucination›.»
In einem Workshop wurde auch der Krieg in Nahost zum Thema. Konkret ging es um die Frage: Wie kann man Unparteilichkeit gewähren und Manipulationen und Fälschungen ausschliessen? Mit dabei waren Sophie Timmermann, stv. Leiterin Faktenchecking-Team Correctiv, und Daniel Egli, Head of Newsroom Coordination Blick. Moderiert wurde dieser Programmpunkt von Karina Rierola, Auslandredaktorin SRF. Zugeschaltet aus Jerusalem war zudem die freie Journalistin Inga Rogg: «Beide Seiten gehen durch ein Trauma, wir müssen beiden zuhören – wir dürfen die unterschiedlichen Leiden nicht gegeneinander ausspielen.» Egli gab zu bedenken: «Was ist eine Quelle? Die Hamas? Die IDF? Alle haben einen Bias. Seit dem 7. Oktober müssen wir den Konjunktiv inflationär benutzen.»
Warum sich Medienhäuser so schwer tun mit #MediaToo, darüber diskutierten Salvador Atasoy, Journalist SRF, Simona Boscardin, Co-Präsidentin Junge Journalistinnen & Journalisten Schweiz, und Monika Hirzel, Geschäftsführerin Kanzlei BeTrieb, mit Moderator Hannes Britschgi. «Wir züchten solche Fälle selbst. Im Journalismus wird der Prototyp ‹Rücksichtslos› gefördert», so Atasoy. Boscardin hatte eine Theorie, weshalb konkrete Fälle oft «nur» offene Geheimnisse sind: «Durch den Personenkult in der Branche ist es manchmal schwierig, sich gegen eine Person aufzulehnen.»
Lesen Sie auch den persoenlich.com-Artikel über das #MediaToo-Panel.
Ein weiterer Workshop befasste sich mit der Frage, weshalb so viele Medienschaffende die Nase voll haben vom Journalismus. Hanna Wick (Ex-SRF), Janosch Tröhler (Ex-Ringier) und Markus Dütschler (Ex-SDA und Tamedia) berichteten über ihre Beweggründe, aus dem Journalismus auszusteigen. «Journalisten sind selbst-ausbeuterisch und glorifizieren ihren Beruf viel zu sehr. Und das ist eine Einladung, ausgenutzt zu werden», sagte Tröhler. Wick ergänzte: «Ich habe im Journalismus so viele Menschen kennengelernt, die absolut keine Ahnung vom Führen haben.»
Die Credit Suisse segelte ihrem Ende entgegen und monatelang drang kaum etwas zu Schweizer Medien durch. Internationale Finanzmedien dominierten die Berichterstattung. Noch bei der Rettung der UBS oder beim Swissair-Grounding lief das ganz anders ab: Schweizer Medien waren mittendrin. Die Konzernspitzen standen hin und erklärten. Über diesen Wandel wurde am #JourTag23 mit Glencore-Kommunikationschefin Sarah Antenore, Allianz-Kommunikationschef Hans-Peter Nehmer und SRF-Wirtschaftsjournalist Reto Lipp diskutiert. Letzterer sagte: «Wann immer möglich, umgehe ich Kommunikationsabteilungen. Der direkte Draht ist einfach besser.»
Recherchen im Umfeld der Mafia sind heikel und aufwendig. Die erfahrene Investigativ-Journalistin Maria Roselli (RSI) hat sich nach dem Tod des Mafia-Boss Matteo Messina Denaro nach Sizilien begeben, um die Fäden der Cosa Nostra bis in die Schweiz zurückzuverfolgen. Am JournalismusTag erzählte sie, wie die «moderne» Mafia agiert, in welche brenzlige Situationen sie schon geraten ist und wie sie es schafft, bei mehrmonatigen Recherchen den Überblick zu behalten. Ausserdem präsentierte Stefano Stillitano das vor knapp drei Jahren gegründete «Osservatorio ticinese sulla criminalità organizzata».
TikTok, Instagram, YouTube und Co laufen den traditionellen Medien den Rang ab. Immer mehr Menschen holen sich ihre Informationen primär aus diesen Kanälen. Da bei den sozialen Medien aber Maschinen den Ton angeben und das klassische Gatekeeping durch Journalistinnen und Journalisten praktisch entfällt, werden die Timelines des Publikums geflutet von Fake News und seichter Unterhaltung. Wie man relevante Inhalte vermittelt und vor allem auch bei Jugendlichen Interesse dafür weckt, darüber sprachen Cedric Schild (Izzy Projects) und Fee Anabelle Riebeling (20 Minuten) mit Franz Fischlin, Co-Präsident von QuaJou.
Wie soll die nachkommenden Generationen zum Medienkonsum animiert werden, ohne dass die Angebote in anbiederndes Infotainment abdriften? Die Schlussrunde mit drei in diesem Jahr ernannten Chefredaktorinnen nahm diese Frage und weitere Fäden auf, die zum Teil schon in anderen Anlässen des Tages ausgelegt wurden. Es diskutierten Nadine Sommerhalder (Watson), Steffi Buchli (Blick) und Désirée Pomper (20 Minuten) unter anderem auch darüber, was sie unter Qualität im Journalismus verstehen. «Die Verlässlichkeit der Informationen, die wir an die Leute herausgeben, entscheidet über unsere Daseinsberechtigung», sagte Buchli stellvertretend für alle Medienvertreterinnen. Fact-Checking werde deshalb immer wichtiger werden.
Der QuaJou zieht nach dem JournalismusTag.23 eine positive Bilanz. «Mit KI, Nahostkonflikt oder dem Arbeitsklima im Journalismus hatten wir alle aktuellen Themen dabei. Wir sind wirklich stolz auf das diesjährige Programm und das Team dahinter. Der JourTag war ein inhaltsreicher und inspirierender Tag. Wir hoffen, dass wir damit einen Beitrag zur Qualität des Journalismus in der Schweiz und zur Vernetzung innerhalb der Branche schaffen konnten», so Co-Präsidentin Fabienne Kinzelmann.
Weitere Impressionen gibt es im Fotoalbum
Weitere Statements finden Sie auf X unter #JourTag23.
QuaJou bedankt sich bei allen Partnern, ohne die eine Durchführung in dieser Form nicht möglich gewesen wäre:
Der JournalismusTag.24 findet am 22. November 2024 statt.